Donnerstag, 13. September 2012



Ich veröffentliche hier einen Text, den ich zum Thema "Politische Sprache in der Schweiz" geschrieben hatte und der vom Verleger einer Zeitschrift (der mir das Thema gegeben hatte) mit der Begründung abgelehnt wurde, er sei zu hetzerisch.
Meinungen dazu?


Wenn Sprache ausschliesst  
Von Jasmine

Kriminelle Ausländer, schleichende Islamisierung, zu verschärfende Kuscheljustiz, zu überwachende Sozialschmarotzer, zu bremsende Einwanderungsflut, allesamt ausschaffen, abschieben, getrieben die Anderen, abgeschrieben der Anstand, gross geschrieben die SPRACHE DER GEWALT. So ist das heute. (War es mal anders?) Auf Plakaten prangen dunkle Hände, die Schweizer Pässe klauen, Raben, die die Schweiz fressen wie ein Biskuit, schwarze Kriegsstiefel, die auf die Schweizerfahne stampfen. Das unschuldige Weiss-Rot ist bedroht, die Heimat gefährdet. Sie muss verteidigt werden. Das Boot ist voll.
Ach nein, das ist ja was anderes, lange her, hat mit dem Jetzt nichts zu tun. Der Heimatmythos pflegt sich besser ohne Auseinandersetzung mit der Geschichte; die traditionellen Bauernhemden, die tatsächlich in den 1970er Jahren erfunden wurden[1], geben sich als Urtradition aus. Urschweizerisch, urmännlich, starke Eidgenossen begiessen sich gegenseitig mit polemischen, populistischen Gedankenergüssen. Der Schweizer das Opfer? Und die Schweizerin? Ja, die Ausländerin? Aber zurück zum Schweizer – wenn er das Opfer ist, wer ist dann der Täter? Was ist Schuld an der Ungerechtigkeit?
Ein Spätkapitalistisches System, das seine ungerechte Verteilung der Güter immer weniger verschleiern kann? Die Tatsache, dass die Eltern von 45 Prozent aller Studierenden an einer Schweizer Universität selber AkademikerInnen sind, dass die soziale Durchlässigkeit also zu gering ist?[2]
Nein – Schuld sind die Frauenhäuser, die Asylunterkünfte, die Lehrerinnen-Zimmer, beziehungsweise deren jeweilige Insassen.
Ach, das ist nur politisches Geplänkel, das ist ja nicht so ernst zu nehmen, alles halb so schlimm? Wer es sich einmal antut, auf dem Tagi-Online die Artikel-Kommentare zu lesen, wird sofort feststellen, wie sehr diese Sprache, dieses trotzige „Ich-will-jetzt-einfach-etwas-Diskriminierendes-sagen-das-steht-mir-zu-ich-bin-ein-freier-Bürger“ zum Mainstream geworden ist. Herabgestiegen von den zumindest umstrittenen Hetz-Plakaten, hat sich diese Schamlosigkeit, das eigene soziale Privileg gegen Minderprivilegierte auszuspielen, geradezu heimelig eingenistet in der warmen, idyllischen Schweizer Stube. Und dazu ein kühles Bierchen.
Direkte Demokratie, das abgenutzte, tot geredete Wort. Direkte Demokratie als diktatorisch eingesetzte Manipulationskeule – so viele Frustwähler, noch mehr Nichtwähler, zu viele Nichtwahlberechtigte, alle ohne Zugang
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zu klaren, sachlichen Informationen in einer Flut angsterfüllter, wuterfüllter Botschaften. Kaum entscheidbar, was davon Sinn macht.
Helfen würden da Geschichtsbücher, um die „Das Boot ist voll“ -Parole richtig verorten und darüber zu erschrecken, dass sie heute so aktuell wirkt. Nein, es droht keine durchorganisierte Tötungsmaschine, sondern Chaos, Hunger, Perspektivlosigkeit. Es ist eine andere Situation, in einer anderen Zeit, mit anderen Menschen, aber der gleiche Ausschlussrhetorik. Denn diese funktioniert immer gleich: Sie zeichnet „die Anderen“, die „Nicht-Wir“. Dass sich im „Wir“ niemand sicher fühlen kann, macht das Zeigen auf die Anderen, das sprachliche Abwerten der Anderen um so wichtiger, es rettet einen selbst vor dem Ausschluss.
Und so plädiere ich dafür, in einer Sprache frei von Polemik und Zynismus, kritisch und empathisch zu bleiben und in dieser unsicheren Zeit den Blick statt hin zu rassistischen Plakaten zum Leiden anderer hinzuwenden. Und mit den Anderen zu sprechen, nicht über sie. Und plötzlich sind sie wieder Teil des Wir.


1 Tobias Scheidegger "Stoff aus dem Traditionen sind", Rosa 45
2 Bundesamt für Statistik