Dienstag, 24. April 2012

Die Sache mit den (Familien-)Namen


von Jasmine
 
Ab nächstem Jahr gelten also die Änderungen im Schweizerischen Namens- und Bürgerrecht. Über diese kurze Meldung des Inkraftreten eines parlamentarischen Beschluss berichtete gestern der Tagi online, in kürzester Zeit füllten sich die Kommentarspalten, unterdessen wurden schon über 120 Äusserungen dazu abgegeben. http://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/standard/Wer-heiratet-behaelt-kuenftig-seinen-Namen/story/25262383
Auch ich empfand den Artikel, beziehungsweise seinen Inhalt, als bedeutsam und teilte ihn gestern auf facebook. Nach einer Diskussion mit meinem Freund und der Idee, wir könnten einfach ab und zu unsere Namen Brangelina-like verschmelzen, liess mich die Frage nicht mehr los, warum denn (Nach-)Namen überhaupt politisch debattiert werden und weshalb die Änderungen im Namensrecht auf eine derartige öffentliche Resonanz stossen.



Namen als Label für soziale Zugehörigkeit

Also wenn mensch sich das mal so überlegt, ist ein Name eigentlich schon etwas Ungeheuerliches – er wird einem bei der Geburt einfach ungefragt gegeben und er bleibt dann meist eine Konstante im eigenen Leben. Namen sind somit in unserem gesellschaftlichen Umfeld eine relevante Grösse für das Schaffen der eigenen Identität, wie dies bei anderen nicht selbst gewählten Attribute wie Geschlecht, Hautfarbe, Nationalität, Schichtszugehörigkeit, etc. der Fall ist, in die ein Mensch hineingeboren wird und mit denen sie sich arrangieren muss. Dabei sind Namen gerade auch mit diesen sozialen Kategorien untrennbar verknüpft, weshalb die Debatte über sie auch eine solche politische Sprengkraft hat: So zeugt das Misstrauen, das „fremd klingenden“ Namen von Firmen (deshalb die Idee mit den anonymisierten Lehrstellenbewerbungen) oder in einem konkreten Beispiel der Feuerwehr im Dorf, wo ich aufgewachsen bin, die alle bis 30jährigen jährlich zu einem Treffen aufbieten, ausser „die, mit den Namen, die man gar nicht aussprechen kann“ (Äusserung eines Feuerwehrmitglieds, als er glaubte, unter Gleichgesinnten zu sein) entgegengebracht wird, ohne die damit bezeichnete Person jemals kennengelernt zu haben, zeugen von der Xenophobie, die in der Schweizerischen Gesellschaft tief verwurzelt ist. Schliesslich entstammen auch die altschweizerischen Namen wie Müller, Gerber etc. dem Wunsch nach Abgrenzung, die Wahl von bürgerlichen Berufen als Familiennamen zeugt von der Vererbung gesellschaftlicher Privilegien.
Und schliesslich – dieser Aspekt wird im Zusammenhang mit dem neuen Namensrecht allerorts in einem Atemzug genannt – über die Nachnamen konstituiert sich das Geschlechterverhältnis. Ein neugeborenes Kind muss entweder auf einen eindeutig männlichen oder eindeutig weiblichen Namen getauft werden, wobei dabei vom biologischen Geschlecht des Kindes ausgegangen wird, da das Baby ja noch nicht über seine Geschlechtsidentität verfügt, beziehungsweise darüber Auskunft geben kann (nicht dass Abweichungen von cis-gender-Identitäten überhaupt jemals als Möglichkeit erachtet würden). Und so bin ich also seit dem Tag meiner Geburt auf einen Mädchenvornamen getauft, der so mit allergrösster Wahrscheinlichkeit mein Leben lang in meinem Pass stehen wird. Dieses Gesetztsein meines Vornamens zeugt dabei von meinem sozialen Privileg als cis-gender Inhaberin eines Schweizer Passes – Trans-Menschen und Menschen ohne Papiere haben diese lebenslange staatlich gesicherte Vornamensstabilität nicht (unbedingt). 

Ach, wie gut, dass niemand weiss ...

Namensstabilität als Indikator für soziale Privilegiertheit

Die grosse Neuerung, oder die am meisten diskutierte ist die Gewährleistung der Namensstabilität für beide Partner einer heterosexuellen Beziehung nach der Hochzeit. Das ist eine eindeutige Aufwertung der Frau, die nun nicht mehr automatisch mit der Heirat einen neuen Nachnamen und damit eine neue Familienzugehörigkeit erhält. Es wird nicht mehr automatisch markiert, dass sie nach der Heirat nicht mehr zur Familie ihres Vaters, sondern neu zur Familie ihres Mannes, bzw. zur neu gegründeten Familie mit dem Namen ihres Ehemannes gehört. Der Normalfall, von dem auf Wunsch hin problemlos abweichen werden kann, ist nun also: Heiratet eine Frau einen Mann, bleiben beide namentlich Teil ihrer elterlichen (bislang meist väterlichen) Familie, die Hochzeit bedeutet also auch für die Frau keine Zäsur in ihrer Identität mehr.
Dies ist definitiv ein Schritt hin zur Gleichberechtigung, und ich bin darüber sehr erfreut. Warum erinnere ich mich aber während des Lesens des Artikels und des Diskutierens darüber daran, wie ich mir in der Primarschule vorgestellt hatte, wie ich dereinst heiraten und dann spannenderweise anders heissen würde?
Bis heute gefällt mir die Idee eines neuen Namens, deshalb weil sie die Möglichkeit einer Neuerfindung beinhaltet, ein altes Label abstreifen, ein neues anprobieren. Ich wurde bei vielen Namen genannt in meinem Leben, wobei ich bereits im Kindergarten versucht habe, mir einen neuen Namen zu geben, um cooler zu sein: Ich stellte mich vor als „Jasmine, aber ihr könnt mich auch Jasskarte nennen“ (oje) J, später in der Primarschule entstand mein Alter-Ego Liriana, das ich bis heute in literarischen Texten gerne verwende, doch auch der Versuch, mich so nennen zu lassen, scheiterte. Doch hatte ich in jeder Schulstufe einen anderen Namen, bei dem ich gerufen wurde. In der Primarschule war ich Jasme, in der Oberstufe Jasi, in der Kanti dann Jasmine, dann gibt es Menschen, die mich Jase nennen (ja, tatsächlich) und einige die mich Heidi nennen (was ich auch sehr toll finde), ausserdem nennt mich mein Freund bei Kosenamen, genauso meine Mutter, und eigentlich ist Jasmine gar nicht mein erster Vorname, sondern nur mein Rufname, was des Öfteren zu Verwirrungen führt, wenn ich beispielsweise beim Zahnarzt nicht mehr weiss, unter welchem Namen ich registriert bin. So fest wie mein Vorname also in meinem Pass steht, so fliessend ist seine tatsächliche Verwendung doing name sozusagen. Somit erscheint es mir als irgendwie selbstverständlich, dass auch die Idee eines neuen Nachnamens etwas Befreiendes hat, die Idee des Mich-Umbenennens ist für mich Teil meiner Identität. Erstaunlich dabei ist, wie diese Empfindung an der „Geschlechtergrenze“ aufzuhören scheint, ich glaube, es ist etwas spezifisch weibliches, sich in diesem fliessenden Selbstverständnis der Namens- und Identitätsgebung zu bewegen. Beziehungsweise etwas spezifisch nicht-cis-gender-männliches, da Transmenschen damit noch in stärkerem Masse konfrontiert sind oder sein können. Dies begründet sich darin, dass wir nicht-cis-gender-Männer nie die Standard-Menschen sind, wir lernen, dass wir uns ständig neu erfinden müssen oder können, es ist bei mir ein wichtiger Teil meiner Identität, dass ich diese immer mal wieder ein wenig umwandle. Ich wechsle meine Kleider, meine Frisur, meinen Musikgeschmack, wieso nicht auch meinen Namen?
Kompliziert wird es allerdings, wenn in den Kommentarspalten des Tagi online folgende Aussagen in ähnlicher Weise vielfach zu lesen sind: „Ein weiterer Markstein im Niederreissen des Status des Mannes.”, “Ja, endlich werden die Männer im Namensrecht benachteiligt. (…) (Achtung:Ironie).” Warum stösst denn dieses Gesetzt anscheinend viele Männer vor den Kopf? Es gelten ja nur nun auch für Frauen dieselben Regeln, wie sie für Männer schon immer galten, es wird ja niemandem etwas weggenommen... Doch viele Männer scheinen dies als Bedrohung wahrzunehmen, nur schon die Idee eines neuen Nachnamens nach einer Heirat oder das Nichtweitergebenkönnen des eigenen Nachnamens an die Kinder scheint ihre männliche Identität zu bedrohen. Er, der Mann, der Standard-Mensch, will sich nicht neuerfinden müssen, denn er wird nicht er ist. (Selbstverständlich spreche ich dabei von hegemonialer Männlichkeit, nicht von „allen individuellen Männern“).



Familienzusammenhalt?

Wieder zurück zu mir und der Frage, weshalb das mit dem Nachnamen überhaupt ein Thema ist, über das ich nachdenke. Die Namensfrage scheint sich vor allem dann zu stellen, wenn in eine heterosexuelle Beziehung/Ehe Kinder geboren werden. Wie sollen denn dereinst die Kinder heissen, und überhaupt, wäre es nicht hübsch, ich als Mutter, mein Freund als hypothetischer Ehemann und Vater und unsere hypothetischen Kinder hätten alle denselben Nachnamen, würde es nicht unseren Familienzusammenhalt stärken, ein wir-Gefühl herstellen? Ich bin immer mal wieder überrascht, wie diese traditionalistischen heterosexistischen Ideen von Familien tief in mir drin sitzen, obwohl ich so etwas im eigenen familiären Hintergrund gar nicht habe. Ich war immer stolz, dass meine Familie aus Menschen mit verschiedenen Nachnamen besteht – meine Mutter, deren Lebenspartner, mein Freund, dessen Mutter, sie alle haben nicht denselben Nachnamen wie ich und gehören doch definitiv zu meiner Familie.
Und wahrscheinlich ist es genau das Verletzen dieser heterosexistischen Idee der einzig möglichen Familie als Vater-Mutter-verheiratet-Kinder, was die Gemüter so erregt; wobei es ja nicht um das Abschaffen, sondern einzig um das Denken von weiteren Modellen geht, es geht eben nicht um Diskriminierung, sondern um Entdiskriminierung von „alternativen“ Modellen. Doch das Durchbrechen von Normen gefährdet stabile Machtverhältnisse, was niemals ohne Gegenwehr abläuft von der Seite jener, denen Privilegien entzogen werden; die Tagikommentatoren, die in der neuen Regelung eine Emanzen-Weltverschwörung sehen, gehören sicherlich zu dieser Gruppe.
Dennoch ist es eigentlich wirklich erstaunlich, wie gewisse Normen im gesellschaftlichen Bewusstsein verankert sind, und das Denken und Empfinden von Menschen prägen und beeinflussen, die von jenen verbitterten Tagi-Kommentarschreibern meilenweit entfernt sind, und dies obwohl diese Normen so längst nicht mehr gelebt werden. Alleinerziehende Eltern, Paare ohne Kinder (egal welchen Geschlechts und Zivilstandes), gute Freunde, Mehrgenerationenhaushalte, Homosexuelle Paare mit Kindern, sogenannte Patchworkfamilien, wie die meinige, und so viele mehr – alles genauso valide Formen von Familie. Dort wo sich Menschen lieben, solidarisch sind, einander helfen, dort wo jedes Mitglied eingebunden ist und sich selber sein darf, sind Nachnamen nicht das Ausschlaggebende für das Zusammengehörigkeitsgefühl. 

Freitag, 13. April 2012

Das Zürcher Sechseläuten - ein zutiefst sexistischer Brauch

 von Evelyne

Das Sechseläuten in Zürich ist ein traditionelles Frühlingsfest bei dem der Böögg (ein Schneemann), der mit Feuerwerkskörpern gefüllt ist auf dem Scheiterhaufen verbrannt wird, um den Winter auszutreiben. Vor dem Verbrennen des Bööggs, dessen Scheiterhaufen um 18 Uhr angezündet wird reiten die verschiedenen Zünfte in einem Umzug durch Zürich und es finden sich alljährliche viele ZuschauerInnen zu diesem Spektakel ein. Je nach dem wie lange der Böögg braucht bis sein Kopf explodiert, wird der folgende Sommer schön oder nicht. Alle ZürcherInnen freuen sich an diesem Tag über einen halben Feiertag. 

Der Böögg wird auf dem Scheiterhaufen verbrannt
"Aaaah, mein Kopf explodiert gleich!"



 Nun klingt das alles erst einmal nach einem fröhlichen Frühlingsfest. Leider perpetuiert das Fest alljährlich auch sexistische Bräuche. So ist es nicht genug, dass die Verbrennung des Schneemanns Erinnerungen an die Hexenverbrennung hervorruft, der schlimmste Punkt ist, dass Frauen von der Teilnahme am offiziellen Zunftumzug ausgeschlossen sind. Diesen Ausschluss begründen die Zünfter mit der Tradition, was völliger Blödsinn ist. Das Sechseläuten entwickelte sich allmählich aus verschiedenen Wintervertreibungsbräuchen in der ganzen Stadt. Im 19. Jahrhundert zogen bekränzte Mädchen, Mareili genannt, durch die Stadt währen die Knaben eine Strohpuppe durch die Stadt trugen, die dann später verbrannt wurde. Ausgeschlossen wurden die Frauen erst 1952. Natürlich in den guten alten 50er Jahren, gerade noch rechtzeitig, bevor es mit der grossen bösen Emanzipation losging. Während sich die Welt rund herum änderte behielt das Sechseläuten seine sexistischen Traditionen bei und verbot Frauen weiterhin die Teilnahme. 

Die stolzen Mannen hoch zu Ross

Letztes Jahr dann erschien endlich Licht am Horizont, die Frauenzunft Gesellschaft zu Fraumünster durfte am Umzug mitmarschieren. Mensch feierte das in den Medien als grossen Fortschritt und Erfolg, was mich schon einmal reichlich entsetzte. Dass es tatsächlich im Jahre 2011 ein grosser Wurf war, dass Frauen bei einem Umzug mitmarschieren konnten war allerhand. Nun aber kam es ganz dicke, denn so richtig glücklich waren die braven Männer der Zünfte dann doch nicht mit ihrer „grosszügigen Geste“. Sie stimmten darüber ab, ob die Frauen weiterhin zugelassen werden sollten – und entschieden sich dagegen. Denn schliesslich verstosse das gegen die Tradition. Und überhaupt! Was haben sie denn noch im Leben, nachdem sie schon fast alle Privilegien abgeben mussten? Da wird man doch noch in Ruhe einen Umzug machen dürfen, ohne Weibsvolk.
Flugs wurde das traditionelle Fest also wieder ohne Frauen organisiert. Auf das diesjährige Plakat kam dann aber gewissermassen als Kompensation ein herziges Meitli mit Zahnlücke.

Ich sage nein zu diesem sexistischen Brauch. Es ist wirklich nicht normal, dass mensch im Jahre 2012 darüber diskutieren muss, ob Frauen an einem von öffentlichen Geldern bezahlten und geförderten Anlass teilnehmen dürfen.

Diese einfach als normal hin zu nehmen gilt nicht mehr, dies ist es nämlich nicht. Es handelt sich um einen öffentlichen Anlass für das die halbe Stadt gesperrt wird und tausende ZuschauerInnen in die Stadt strömen. Indem man dort Frauen die Präsenz verbietet, möchte man sie in aus dem öffentlichen Leben verdrängen und perpetuiert eine Rolle, die tatsächlich so das letzte Mal in den 50er Jahren auftauchte, die Frau in der Sphäre des Privaten. Die Frau, die kein Vorbild sein kann sondern die Männer hoch zu Ross bewundern soll. Es wirken dieselben Mechanismen der Diskriminierung wie schon Jahrzehnte zuvor. Wenn die Frauenzünfte sich dagegen wehren, werden sie als hysterisch abgestempelt und damit noch einmal ausgeschlossen. Es steht den Frauenzünften aber zu, an dem Umzug teilzunehmen. Die Frauen sind ein Teil der Gesellschaft und es ist zum kotzen, dass ich das im Jahr 2012 tatsächlich schreiben muss!


Die Frauenzunft "Gesellschaft zu Fraumünster" am Umzug 2011